LOW SPIRIT HOME - THE MOVIE

A PICTURESQUE RURAL BLUES OPERA FOR FLAT SCREENS

Rudolph Dietrich alias RURAL SENIOR präsentiert mit dem Musikfilm LOW SPIRIT HOME 60 und 6 Minuten lang nicht nur einen Überblick über sein aktuelles Schaffen, sondern gleichzeitig auch Songs, Sounds und Inspirationen aus seiner mittlerweile fünf Jahrzehnte überspannenden Karriere. Er bleibt seiner “mind over matter“ Philosophie treu und zeigt einmal mehr, dass Veränderung die einzige Dietrich-Konstante ist.

 

Die picturesque-musikalische Reise beginnt mit einem überarbeiteten Live-Mitschnitt seines ersten öffentlichen Konzerts aus dem Jahr 1973. Seine damalige Band KARMA hatte sich kompromisslos der improvisierten, elektronischen Musik verschrieben. Die Ouvertüre ist Programm, denn Dietrich schlägt durch die ganze Oper hindurch immer wieder Brücken über die Jahrzehnte, nimmt Wurzeln erneut auf und transportiert sie ins Jetzt.  Oder mit einem der bekanntesten Dietrich-Songs überhaupt, VISITORS NEVER COME ALONE (1981), der jetzt als reine Instrumentalfassung meilenweit vom Original weg ist und doch so nah daran bleibt, dass man unweigerlich an die von RUDOLPH ’HILLARY’ DIETRICH mit SHEER HILARIOUSNESS 2006 angekündigte Reise jenseits von Zeit und Raum erinnert wird. Ebenso präsent bleibt der von HILLARY gleichzeitig erklärte und 1976 begonnene “Heilige Krieg gegen die Engstirnigkeit und Ereignislosigkeit“.


... „gonna be a soldier in the army of love, gonna be a lover in the army of God.“ (HARMAGEDON)


Nie die Rückschau, nur der Moment ist das Thema. Weil es für den VODOU SPORTS CLUB nichts Gegenwärtiges gibt, das seine Daseinsberechtigung ausschliesslich aus der Vergangenheit ableiten könnte, öffnet er die Tür in einen Kosmos, in dem die Zeit tatsächlich eine relative Rolle spielt und Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in eine gemeinsame Dimension verschmelzen.


LOW SPIRIT HOME enthält bewusst keine Arbeiten aus der frühen Punk- und Postpunk-Ära. Einerseits ist Dietrichs Schaffen aus dieser Epoche mittlerweile hinreichend dokumentiert. Andererseits beschäftigt sich sein neustes Werk mehr mit den inneren Gemütsvorgängen als mit dem Agieren nach aussen. Rudolph Dietrich annoncierte diese Kehrtwende erstmals 1983 mit dem Album SPIRITUAL BEAUTY von BLUE CHINA, dann 1987 mit der LP TIME TO LEAVE. Folgerichtig beschäftigte er sich unter dem Titel Mr. L’Ti BON ANGE in den Neunziger Jahren intensiv mit den Wurzeln des Blues, mit Vodou, der akustischen Gitarre und mit Aufnahmetechnik. (L’Ti BON ANGE ist ein Begriff aus dem Haitianischen Vodou, welcher den unsterblichen Teil eines Individuums bezeichnet, ähnlich dem westlichen Begriff der Seele.) Es entstanden neue Songs, einige Publikationen (u.a. auch Radio- und Filmmusiken), und Dietrich absolvierte eine kleine Live Tour mit akustischen Instrumenten.  Aus dieser Periode finden sich in der Picturesque Rural Blues Opera sowohl bislang unveröffentlichte Songs als auch überarbeitete Aufnahmen wie der Titelsong LOW SPIRIT HOME.

 

Nach der Jahrtausendwende entstand schliesslich 2007 aus der Vereinigung des "Ti“ mit dem “Gros Bon Ange“ (die Bezeichnung steht in etwa für die körperliche Vitalität und Lebenskraft) der RURAL SR.’s Le VODOU SPORTS CLUB. Und so finden sich in den Songs neueren Datums selbstverständlicherweise auch ganz diesseitige Geschichten: In MONKEY MAN beispielsweise erlebt ein Freier - bedauerlicherweise knapp bei Kasse - schmerzlich, dass er seine Sehnsucht in der Welt der Prostitution nicht stillen kann.

 

LOW SPIRIT HOME – THE MOVIE ist ein permanenter Balanceakt zwischen schnöder Realität und hehrer Sehnsucht. Zwar ist RURAL Sr. mit seinem Club in Betonschluchten, Vergnügungsmeilen und unterirdischen Bahnhof-Einkaufspassagen präsent, doch sein Reiseziel ist das mythische YERUSHALAYIM, ein Ort, der auf keiner diesseitigen Anzeigetafel erscheint. Gegensätze haben im animistisch geprägten Universum des VODOU SPORTS CLUB ihren festen Platz. Sie treten aber nicht als zu überwindende Extreme auf, sondern vielmehr als Pole, die dazu dienen, einen Ausgleich zu finden. Die Überwindung der Vielfalt durch die Einfalt ist dafür kein taugliches Konzept. LOW SPIRIT HOME führt die Zuschauer sowohl in den Himmel als auch in die Hölle und ist deshalb auch ein musikalischer Road-Movie, eine Inszenierung des Pendelns der Seele zwischen Anspruch und Realität, Gnade und Unbarmherzigkeit, Verzweiflung und Hoffnung, Resignation oder Aktion.

 

... “We all gotta live our lives, we’re all born to die. - We all gotta live our lives, you got yours and I got mine“. (ONLY IN IT BLUES)

 

Auch in handwerklicher und technischer Hinsicht arbeitet RURAL Sr. mit vermeintlichen Gegensätzen. Er produziert den eigenständigen Sports Club Sound einerseits mit modernen Mitteln wie z.B. programmierten Drums und Samples, andererseits kommen auch traditionelle Instrumente wie Banjo, Ukulele, Mundharmonika und afrikanische Rhythmusinstrumente wie Ziegenklauen oder die Udu-Trommel zum Einsatz. Le VODOU SPORTS CLUB ist somit nirgends und überall zu Hause und schafft dies ohne einen Hauch von Beliebigkeit. Er ist nicht auf der Suche nach gefälliger Effekthascherei, sondern nach Substanz.

 

Die PICTORESQUE RURAL BLUES OPERA FOR FLAT SCREENS kann aber auch einfach nur Spass machen. Dafür spricht sicher eine gehörige Portion Dietrichscher Pop-Sensibilität sowie der ansteckende Humor, mit denen Le VODOU SPORTS CLUB seine ’grossen’ Themen anrichtet und serviert: “Who else but You, Lord, will love me‚ ’cause I am what I am?“ (MARISSA)

 

Obwohl Le VODOU SPORTS CLUB oberflächlich gesehen eine One-Man-Show ist, sieht sich der bekennende Individualist RURAL Sr. mittlerweile weniger als isoliertes, völlig unabhängig agierendes Individuum, sondern darüber hinaus auch als die Summe aller seiner äusseren Einflüsse. Sein VODOU SPORTS CLUB zollt somit allen Geistern, Ahnen, Freunden und Mitstreitern Respekt und schliesst bewusst einflussreiche Ideen, Erfahrungen und Visionen mit in sein Selbstverständnis ein.

 

Das Spiel mit dem Begriff “rural“ (ländlich) ist einerseits eine bewusste Absage an den Begriff “Urbanität“, der als allzu uniform und erstickend konventionell empfunden wird. Andererseits ist es eine Hommage an den Rural Blues, der auch heute noch in seiner individualistischen, direkt aus der Seele kommenden Intensität in seiner Art unerreicht bleibt. Rural Sr. fühlt sich der Tradition der klassischen Songsters verbunden, sieht sich als Geschichtenerzähler mit dem Ehrgeiz, einen unverwechselbaren Sound zu kreieren.

 

RURAL SR.’s Le VODOU SPORTS CLUB bedient sich dabei  – nomen est omen – einer mystischen, spirituellen Symbolik, die es wagt, sich - geschuldet den musikalischen Präferenzen und Dietrichs musikhistorischem Verständnis - auch auf afrikanische Wurzeln zu beziehen. Gemäss einer Einsicht von Mr. L’ti BON ANGE aus den Neunzigern ist es nicht möglich, sich dem Phänomen “Blues“ (und somit auch der Popkultur ganz generell) zu nähern, ohne die Bereitschaft, einen Blick über den eigenen Tellerrand aus bekannten Traditionen und Regeln in Richtung Afrika zu werfen. Musikalisch lässt der VODOU SPORTS CLUB jedoch dieses Ringen um Verständnis nicht im Versuch einer formalen Kopie erstarren. LOW SPIRIT HOME entzieht sich deshalb jeglichem Versuch einer stilistischen Kategorisierung und entspricht somit C.G. Jungs Definition: “Man ist ein psychischer Ablauf, den man nicht beherrscht.“

 

Was die Bildsprache betrifft, möchte LOW SPIRIT HOME an William Gilpin erinnern, der 1782 den Begriff “Picturesque“ als ästhetisches Ideal prägte. Picturesque, wortwörtlich ’“in der Art und Weise eines Bildes; geeignet um in ein Bild eingefügt zu werden“, stammt vom italienischen Begriff pittoresco, “in der Art und Weise eines Malers“, ab. Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts wurden die Ideen des aufgeklärten Rationalismus in Frage gestellt, indem man das Erleben von Schönheit und Erhabenheit als irrational, weil instinktiv angesehen hat. Gilpins Werk ’Essay on Prints’ definiert Picturesque als einen “Begriff, der eine sonderbare Form von Schönheit ausdrückt, die sich angenehm in ein Bild einfügt“ und eine vermittelnde Stellung von Gegensätzlichem einnimmt.

 

RURAL Sr.’s Blues Oper spielt ebenso eine Vermittlerrolle, nämlich zwischen den gegensätzlichen Gemütszuständen von Lebensfreude und Verzweiflung, Substanz und Banalität. Um LOW SPIRIT HOME zu einem einzigartigen Erlebnis werden zu lassen, wurden nicht nur Bilder in Bilder, Worte in Sätze, sondern auch Noten und Schläge in musikalische Landschaften gesetzt. RURAL Sr.’s Le VODOU SPORTS CLUB fühlt sich geehrt, nun dieses aus Ideen, Klängen, Noten, Schlägen und Bildern bestehende Ganze durch seine Aufführung wiederum in ein weiteres Bild setzen zu dürfen.